MATH+ Professor Max von Kleist (FU Berlin) in den Medien zu innovativer HIV-Therapie und KI-gestützter Pandemie-Modellierung

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Max von Kleist, Professor für „Mathematics for Data Scienes“ an der Freien Universität Berlin, Forscher am Robert-Koch-Institut und MATH+ Professor, äußerte sich in Medienbeiträgen zu zwei hochaktuellen Themen: dem neuen bahnbrechenden HIV-Wirkstoff Lenacapavir und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) zur Pandemiebekämpfung.

Max von Kleist verbindet KI und mathematische Modellierung mit praxisnaher Forschung, um mit interdisziplinären Ansätzen therapeutische Maßnahmen für globale Gesundheitsprobleme zu entwickeln. Im Rahmen von MATH+ werden mathematische Grundlagen für diese Forschung im MATH+ Emerging Field „Decision Support in the Public Sector“ (EF6) unterstützt.

Lenacapavir: Halbjährliche Spritzen erleichtern HIV-Prävention

Im SPIEGEL und weiteren Medien wie ZEIT ONLINE, der SÜDDEUTSCHEN und dem Berliner TAGESSPIEGEL kommentierte von Kleist die Ergebnisse der Phase-III-Studie „Purpose 2“, bei der der neue Wirkstoff Lenacapavir zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) verabreicht wurde, um eine HIV Infektion zu verhindern. 40 Jahre nach der Entdeckung des HI Virus gibt es weder einen effektiven Impfstoff, noch kann eine Infektion geheilt werden. Die tägliche Einnahme des Medikaments Truvada als Prophylaxe kann jedoch eine Infektion effektiv verhindern. Bei dem neuen Wirkstoff Lenacapavir genügten in den „Purpose 1 und 2“ Studien hingegen bereits zwei Injektionen pro Jahr für eine fast vollständige Schutzwirkung. Allerdings lässt sich der Grad der Schutzwirkung in klinischen Studien nur ungenau bestimmen, was ein Kernthema der Forschung des Teams von Max von Kleist ist.

„Die Effizienz von Lenacapavir ist vergleichbar mit Truvada“, erläutert Max von Kleist. Beide Wirkstoffe weisen einen hervorragenden, nahezu kompletten Schutz auf. Andere, eher der Sozialwissenschaft zuzuordnende Faktoren könnten allerdings eine Rolle spielen: Menschen könnten die Injektion einfacher vor ihrem Umfeld verbergen, was HIV-Stigmatisierung, die vor allem Frauen betrifft, verhindern kann.

Doch von Kleist warnt auch: „Ein Problem ist die Resistenzbildung. Nach Absetzen von Lenacapavir bleibt der Wirkstoff bis zu einem Jahr im Körper und kann bei unzureichender Konzentration die Entwicklung resistenter Viren fördern.“ Eine Nachbehandlung mit Truvada könnte deshalb notwendig sein, um dieses Risiko zu minimieren. Die Entscheidung, wer unter welchen Umständen Lenacapavir erhalten sollte, müsse deshalb gut abgewogen werden, so von Kleist.

Neben diesen medizinischen Herausforderungen ist auch die Kostenfrage kritisch zu sehen. Mit einem Preis von 42.000 US-Dollar pro Jahr ist Lenacapavir für ärmere Länder unerschwinglich. Doch gerade dort wird das Mittel meist dringend benötigt.

Zum Unterschied von “Prophylaxe” und “Impfstoff”:

    • Prophylaxe: Ein Medikament hemmt direkt die Vermehrung des Virus oder Erregers. Der Schutz ist unmittelbar, aber verschwindet, sobald das Medikament abgebaut ist. Prophylaxe wird in Tablettenform oder als Spritze ins Fettgewebe verabreicht (Beispiel: Malaria-Prophylaxe).
    • Impfstoff: Ein Antigen wird verabreicht, um das Immunsystem zu aktivieren. Der Schutz entsteht durch eine längerfristige Immunantwort, die sich erst nach Wochen entwickelt, aber anhält, auch nachdem das Antigen abgebaut ist. Impfstoffe werden meist intramuskulär gespritzt.
KI und Modellierung unterstützen die Pandemie-Bekämpfung

Max von Kleist äußerte sich im Deutschlandfunk-Podcast „KI verstehen“ zur Rolle der KI in der Corona-Pandemie und möglichen zukünftigen Pandemien: „Es gab Entwicklungen, die sehr schnell in die Anwendung gegangen sind und sehr informierten Input gegeben haben, da es eine Zeit war, in der man sehr schnell agieren musste auf sich noch ansammelnde Daten“. KI unterstützte während der Corona-Pandemie beispielsweise bei der Auswertung von Gesundheitsdaten, bei bildgebenden Verfahren der Diagnostik und bei der Entschlüsselung des Corona-Genoms, was der Wirkstoffentwicklung half.

Als Beispiel für seinen Forschungsbereich nennt Max von Kleist das Projekt MODUS-COVID, das an der TU entwickelt wurde. Hier wurden gesundheitsrelevante Daten gesammelt und modelliert, wie sich nichtpharmazeutische Maßnahmen, wie z.B. Schulschließungen, auf die Corona-Maßnahmen auswirken würden. Das sei allerdings kein klassisches KI-Vorhaben, sondern eher klassische Modellierung, basierend auf mathematischen Grundlagen, wobei das Modell nicht selbst lernt, sondern nur auswertet.

Von Kleist entwickelte einen eigenen KI-Algorithmus, um Krankheitsverläufe bei einer Corona-Infektion vorherzusagen. Mithilfe bekannter Daten, wie etwa dem Zeitpunkt eines positiven Tests oder Symptombeginns, zeigte er, wie Quarantänezeiten durch gezielte Tests verkürzt werden könnten, ohne das Risiko einer Übertragung zu erhöhen. Diese Berechnungen lieferten ähnliche Ergebnisse wie menschliche Versuchsstudien, in denen sich Freiwillige mit dem Corona-Virus infizierten. Mit dieser KI-Anwendung sind solche Testreihen künftig unnötig. Allerdings möchte von Kleist die Rolle von KI in der Pandemie nicht überwertet sehen. Es sei ein Tool, dass helfen kann, aber keine endgültigen Lösungen bietet.

Auf die Frage, ob KI mittlerweile so weit ist, dass sie uns in einer neuen Pandemie retten kann, meinte er, dass es für KI-Modelle schwierig sei, eine Anwendung auf neue Erreger zu finden. „Man hat keine guten Trainings- und Validisierungsdatensätze. Oft kennt man einfach nicht die Grundwahrheiten, die Ground Truth,“ so von Kleist.

Im Gegensatz dazu habe man für die Modellierung relativ dezidierte Informationen als Bausteine: „Hier kannst du Dinge einbauen, die man schnell lernen kann, z.B. Infektionsverläufe. Das sind kleine Bausteine, die in ein größeres Ganzes eingefügt werden. Und damit kann man eher Vorhersagen machen“, erklärt von Kleist. Sein Fazit: Klassische Modellierung war während der Corona-Pandemie oft effektiver als KI.

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